1.5.1 Die IS-Kurve mit Erwartungen
Im folgenden soll das Modell um die zeitliche Dimension erweitert werden. Dabei
soll zur Vereinfachung die Annahme getroffen werden, dass es nur zwei Perioden
gibt. Zum einen die laufende Periode, die das aktuelle Jahr darstellt,
zum anderen die Zukunft. Die IS-Kurve für die laufende Periode wird so
modifiziert, dass bei Konsum und Investitionen auch die Erwartungen über die
zukünftige Entwicklung einfließen. Konsum- und Investitionsentscheidungen C
(Y-T) + I (Y, r) werden zu einer gesamten privaten Nachfrage A(Y, T,
)
+ G. Man beachte, dass wir hier anstelle des nominalen Zinses
verwenden.
Jetzt erst wird die Gleichung der IS-Kurve um Erwartungen
erweitert, indem die Abhängigkeit der privaten Nachfrage von
den zukünftig erwarteten Werten eingefügt wird. Y = A (Y, T,
’<sup>e</sup>)
+ G beschreibt das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt und somit die IS-Kurve
um Erwartungen erweitert. Der Strich bezeichnet zukünftige Werte, das
hochgestellte e bedeutet "erwartet".
Die Auswirkungen einer Steuererhöhung oder Senkung der Staatsausgaben sind
hier dieselben wie bei der IS-Kurve ohne Erwartungen. Die private Nachfrage A
steigt mit dem Einkommen Y, denn sowohl Konsum als auch Investitionen steigen
mit dieser Variablen. Die private Nachfrage geht mit steigenden Steuern
zurück, weil dann die Konsumnachfrage sinkt und zuletzt sinkt die private
Nachfrage bei steigendem Realzins r, da die Investitionen in diesem Fall
zurückgehen.
Steigt das aktuelle oder das erwartete Einkommen, so steigt die private Nachfrage
A.
Steigen die aktuellen oder erwarteten Steuern oder der aktuelle oder erwartete
Realzins r, so sinkt A.
Für die neu abgeleitete IS-Kurve gelten nun folgende Gegebenheiten: Die IS-Kurve
mit Erwartungen verläuft wesentlich steiler als die IS-Kurve ohne Erwartungen,
die in der Grafik hellrosa angedeutet ist, d.h. bei gegebenen Erwartungen führt
eine Verringerung der Realzinsen nur zu einem kleinen Anstieg der Produktion.
Im Modell ohne Erwartungen bedeutet eine Zinsänderung die Änderung der
gesamten Zinskurve, d.h. eine Verschiebung des aktuellen und des zukünftigen
Zinses. Dies hat naturgemäß größere Auswirkungen als die Änderung
nur des aktuellen Zinses - wie es ja im Modell mit Erwartungen der Fall
ist. In der hier gezeigten Graphik wird der Zusammenhang verdeutlicht.
Bei Veränderung des Schiebereglers wird sowohl der aktuelle Realzins
’<sup>e</sup>
also die gesamte Zinskurve geändert. Somit sollte derselbe Effekt erzielt werden
wie bei der IS-Kurve ohne Erwartungen. Die Änderung des aktuellen Zinses zeigt
sich durch die Verschiebung des Zinsmarkers auf der y-Achse. Die Änderung des
erwarteten zukünftigen Zinses bewirkt eine Verschiebung der IS-Kurve. Die
Änderung des Gleichgewichtspunktes zu den unterschiedlichen Zinsniveaus
hinterlässt eine Spur, welche genau einer IS-Kurve ohne Erwartungen
entspricht.
Generell haben Änderungen der aktuellen Größen nur relativ geringe Folgen,
wenn sie die Erwartungen nicht ändern können.
Der Rückgang der Realzinsen bringt zwei Folgen mit sich: Zum einen wird sich
ein Rückgang des aktuellen Realzinses nicht stark auf die Nachfrage auswirken,
wenn die Erwartungen bezüglich des zukünftigen Realzinses unverändert
bleiben, weil sich die Gegenwartswerte des Realzinses kaum verändern.
Unternehmen werden ihre Investitionspläne nicht sofort revidieren, wenn der
Realzins im aktuellen Jahr zurückgeht. Sie können nicht damit rechnen,
dass der Realzins auch in Zukunft so niedrig bleibt. Zum anderen ist
vermutlich auch der Multiplikatoreffekt klein, denn seine Höhe hängt davon
ab, wie stark eine Änderung des aktuellen Einkommens die Nachfrage
beeinflusst. ändert sich nur das aktuelle Einkommen, die Erwartungen
über das zukünftige Einkommen bleiben jedoch konstant, so kann der
Nachfrageeffekt nicht besonders großsein. Temporäre Änderungen des
Einkommens beeinflussen Konsum- und Investitionsnachfrage nur wenig.
Rechnen Konsumenten zum Beispiel damit, dass sich ihr Einkommen nur im
aktuellen Jahr erhöht, werden sie ihren Konsum nur unterproportional zum
Einkommensanstieg erhöhen. Befürchten Unternehmen, dass sich ihre
Verkaufszahlen nur im aktuellen Jahr erhöhen, werden sie kaum ihre
Investitionspläne revidieren. Ein starker Rückgang des Realzinses hat also nur
einen kleinen Anstieg des Einkommens zur Folge.
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Prof. Dr. Christian Bauer, Lehrstuhl für monetäre Ökonomik,
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