18.5.1 Faktorpreise: Löhne und Zinsen

Das Ricardo-Modell nutzte einen einzigen Produktionsfaktor, zumeist Arbeit. Durch die Einführung des zweiten Produktionsfaktors im Heckscher-Ohlin-Modell lassen sich die Einkommenverteilungswirkungen des internationalen Handels analysieren.

Außenhandel führt zu einer Konvergenz der relativen Preise. Veränderung der relativen Preise wiederum haben starke Wirkung auf die relativen Erträge von Arbeit und Kapital. Ein Anstieg des Textilpreises (Textilproduktion ist kapitalintensiv) erhöht die Kaufkraft der Kapitalbesitzer in beiden Gütern und senkt die Kaufkraft der Arbeiter ebenfalls in beiden Gütern. Ein Anstieg des Lebensmittelpreises hat den entgegengesetzten Effekt (die Lebensmittelproduktion ist arbeitsintensiv).

Der Außenhandel kann folglich auch langfristig starke Wirkungen auf die Einkommensverteilung haben. In Inland (kapitalreiches Land in unserem Beispiel), wo der relative Preis der Textilien steigt, verzeichnen diejenigen Menschen einen Gewinn, die vom Kapitalbesitz leben. Die Gruppe, die ihr Einkommen aus Arbeit bezieht, erleidet dagegen Einbußen. In Ausland (arbeitsreiches Land laut Beispiel), wo der relative Preis der Textilien sinkt, ist es umgekehrt: den Arbeitern geht es besser und den Kapitalbesitzern schlechter.

Die allgemeine Aussage über die langfristigen Wirkungen des Außenhandels auf die Einkommensverteilung lautet: die Besitzer der reichlichen Faktoren profitieren von Außenhandel, die Besitzer der knappen Faktoren erleiden Einbußen. Diese Eindeutigkeit der Verteilungswirkungen von Güterpreisveränderungen im Heckscher-Ohlin-Modell wurde erstmals von Stolper und Samuelson (1941) herausgearbeitet, und wird als Stolper-Samuelson-Theorem bezeichnet. Das Theorem lautet: Ein Anstieg des relativen Preises eines Gutes (z.B. durch Freihandel) führt zu einer Erhöhung des Preises des Faktors, der in der Produktion dieses Gutes intensiv eingesetzt wird, und einer Senkung des anderen Faktorpreises.

Um das Theorem grafisch zu illustrieren, kehren wir zum Beispiel 18.1 mit den bisherigen Annahmen zurück.

In der Autarkie werden die Faktorpreise (Kapitalzins r und Arbeitslohn w) durch inländisches Angebot und Nachfrage bestimmt. Das Angebot von Kapital und Arbeit (Faktorausstattungen) sei gegeben: KS¯ und LS¯. Die Nachfrage wird als Summe der Nachfragen von zwei Industrien bestimmt: KD = K CD + K F D und LD = L CD + L F D. (S steht für Supply und D für Demand)

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Durch den Freihandel steigt der relative Preis für Textilien. Inland spezialisiert sich auf die Textilproduktion und exportiert das Gut. Ausland spezialisiert sich auf die Lebensmittelproduktion und exportiert jenes Gut. Da Textilien ein kapitalintensives Gut sind, steigt die Nachfrage nach Kapital und die Nachfrage nach Arbeit im Inland sinkt. In Ausland ist es umgekehrt: die Nachfrage nach Arbeit steigt und die Nachfrage nach Kapital sinkt. Als Konsequenz steigt der Zinssatz im Inland und Kapitalbesitzer gewinnen; der Lohn sinkt und Arbeiter verlieren. Im Ausland sinkt der Zinssatz und steigt der Lohn. Die Rollen von Gewinner und Verlierer sind vertauscht.

Die grafische Darstellung für Inland:

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Die grafische Darstellung für Ausland:

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Wir haben eben gezeigt, dass der internationale Handel durch seine indirekte Wirkung auf die relativen Faktorausstattungen auch die Faktorpreise und damit die Einkommensverteilungen beeinflusst. Das Heckscher-Ohlin-Theorem impliziert, dass ein Land jenes Gut exportiert und dadurch der in diesem Sektor intensiv verwendete Faktor verstärkt nachgefragt wird, der in diesem Land in Autarkie relativ preisgünstig gewesen ist. Handel ebnet somit die unterschiedlichen relativen Faktorausstattungen der Länder durch die in den gehandelten Gütern enthaltenen Faktorleistungen ein, ohne dass es internationaler Faktorbewegungen bedarf. Der internationale Handel in diesem Model führt aber auch, unter bestimmten Bedingungen, zu einem vollkommenen internationalen Ausgleich der Faktorpreise. Das Ergebnis wird als Faktorpreisausgleichstheorem bezeichnet, das besagt: Wenn im Inland und Ausland die Güterpreise gleich sind (z.B. durch Freihandel), dann sind auch die Faktorpreise in beiden Ländern gleich. Der internationale Güterhandel stellt in diesem Fall ein perfektes Substitut für internationale Faktorbewegungen dar.

Voraussetzung für beide Theoreme ist, dass beide Länder im Handelsgleichgewicht beide Güter produzieren und dass es nicht zur Faktorintensitätsumkehrung kommt. Im Fall einer Faktorintensitätsumkehrung hängt die Intensität der Industrien (ob Industrie kapital- oder arbeitsintensiv ist) von den Faktorpreisen ab, d.h. durch den internationalen Handel kann eine kapitalintensive Industrie zu einer arbeitsintensiven Industrie werden und andersherum.

In der Realität werden die Faktorpreise aber nicht ausgeglichen. Die Lohnsätze verschiedener Länder weisen teilweise sehr große Unterschiede auf. Mögliche Gründe sind typische Abweichungen von den Modell-Annahmen: dass beide Länder beide Güter produzieren; dass die Technologien dieselben sind und dass der Außenhandel tatsächlich einen vollständigen Ausgleich der Güterpreise in beiden Ländern herbeiführt.


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Prof. Dr. Christian Bauer, Lehrstuhl für monetäre Ökonomik, Universität Trier, D-54296 Trier, E-mail: bauer@uni-trier.de